Die elektrische Stadt - Interview mit Prof. Sobek
Utopie oder (bald) Wirklichkeit?
Prof. Werner Sobek gehört zu den einflussreichsten Bauingenieuren der Gegenwart. 2015 wurde er mit dem international bedeutsamen Fritz-Leonhardt-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Ein idealer Gesprächspartner also für ein paar Fragen zur Zukunft des Bauens. Ein Interview von Fachjournalistin Dagmar Hotze zum Thema “Die elektrische Stadt - Utopie oder (bald) Wirklichkeit?”.
Keine Zeit zum Lesen? Am Ende finden Sie eine kurze Zusammenfassung.
Dagmar Hotze: Herr Prof. Sobek, in Ihrer viel beachteten Dankesrede, die Sie anlässlich der Auszeichnung mit dem “Fritz-Leonardt-Preis” für Ihr Lebenswerk im vergangenen Jahr gehalten haben, fordern Sie ein vollständiges Emissionsverbot für Städte ab dem Jahr 2020, um den Handlungsdruck auf die Akteure, allen voran die Bauwirtschaft, zu erhöhen. Warum reichen die bisher ergriffenen Maßnahmen im Gebäudesektor Ihrer Ansicht nach nicht aus?
Prof. Werner Sobek: Das Verbrennen fossiler Energieträger verursacht CO2-Emissionen und verschärft so die Erderwärmung. Wir wissen um den Stand des Problems und können es uns deshalb nicht mehr erlauben, weitere Jahre in einer Ankündigungspolitik wie der des Pariser Abkommens zu verharren. Wir müssen jetzt handeln. Die Politik hat bislang immer noch nicht verstanden, dass die Energiewende im allgemeinen und im Wohnungsbau im speziellen mit den bisherigen Methoden nicht umsetzbar ist. So geht die Bundesregierung immer noch davon aus, dass alle Bestandswohnungen in den nächsten 50 Jahren energetisch saniert werden. Je nachdem, welche Datenbasis man zugrunde legt, liegt die Zahl der zu sanierenden Wohnungen bei 28 bis 34 Millionen Einheiten. Die angestrebte jährliche Sanierungsrate liegt bei 2 %. Faktisch erreicht werden momentan aber nur 0,85 Prozent. Die Gründe hierfür sind einfach zu erkennen: Eine energetische Sanierung kostet (je nach gewünschtem Standard) mindestens 500 € pro Quadratmeter. Die durchschnittliche bundesdeutsche Wohnung hat eine Fläche von 92 m². Das heißt, die energetische Sanierung kostet pro Wohnung 46.000 €.
Es muss klar ausgesprochen werden, dass die Energiewende ein gesamtgesellschaftliches Projekt ist, bei dem es nicht um Rendite, sondern um das Verhindern des Allerschlimmsten geht.
Wenn ein Bürger zur Finanzierung der Sanierung einen Kredit mit Zinssatz Null aufnehmen könnte und ihn dann über 20 Jahre hinweg abzahlen würde, dann betrüge die monatliche Tilgung ca. 190 €. Die durchschnittlichen Heizkosten eines deutschen Habitats liegen bei 120 € monatlich. Mit einer energetischen Sanierung soll der Energieverbrauch für Heizen und Warmwasser um 80% gesenkt werden. Gelänge dies tatsächlich, würde man durch die Sanierung pro Monat 96 € sparen, gleichzeitig aber 20 Jahre lang monatlich 190 € als Tilgung für die Maßnahme bezahlen. Unter Renditegesichtspunkten wird sich der Ansatz also nie durchsetzen, selbst wenn man die eine oder andere von mir genannte Zahl um einige Prozentpunkte hoch- oder herunterdiskutiert. Es geht darum zu erkennen, dass der Ansatz prinzipiell falsch ist.
Einerseits muss klar ausgesprochen werden, dass die Energiewende ein gesamtgesellschaftliches Projekt ist, bei dem es nicht um Rendite, sondern um das Verhindern des Allerschlimmsten geht. Dabei muss den Bürgern endlich auch klar gesagt werden, dass es bei der Energiewende nicht um das Einsparen von Energie geht, sondern um das Verbot der Nutzung von Energie, die aus fossilen Trägern hergestellt wird. Nur das Verbrennen von Energieträgern, seien es Erdöl oder Pellets, Gas, Braunkohle oder gar Altreifen ist zu verbieten, denn hieraus entstehen die Treibhausgase. Energie aus Sonne, Wind und anderen ist unschädlich und im Überfluss vorhanden. Darüber hinaus muss klar ausgesprochen werden, dass unsere bisherige Betrachtungsweise, nach der jedes einzelne Gebäude für sich betrachtet werden muss und nach der eine energetische Sanierung immer mit dem Erreichen von Dämmstandards und Luftdichtigkeit gleichgesetzt wird, ein Irrweg ist. Eigentlich muss man weder Dämmstandards noch sonstiges vorschreiben, was übrigens alles ein großes Innovationshemmnis darstellt. Es genügt völlig, zu fordern, dass ab einem gewissen Zeitpunkt kein Haus mehr Energie benutzt, die aus fossilen oder nuklearen Quellen stammt. Die Energieeinsparverordnung könnte und sollte also tatsächlich aus diesem einem einzigen Satz bestehen.
Auf dem Weg zu einer gebauten Umwelt, die keine durch Verbrennen fossiler Träger gewonnene Energie benutzt, müssen unterschiedliche Maßnahmen gebündelt werden. Es geht darum, schnell voranzukommen. Das geht mit einer bezahlbaren Reduktion der Wärmeverluste, also Dämmmaßnahmen an den schlimmsten Stellen, neuen Fenstern oder einer neuen Heizung etc. Daneben wird eine Gebäudeautomation, die nicht das Joghurt im Kühlschrank nachbestellt, sondern die - sinnmachend - eine optimale Regelung der Energieströme im Haus, zwischen einzelnen Häusern sowie zwischen Häusern und Fahrzeugen regelt, in zehn Jahren überall vorhanden und selbstverständlich sein. Eine solche Gebäudeautomation oder, sprechen wir besser von einem Energiemanagementsystem, ist bereits heute erhältlich. Sie spart bei Bestandsbauten nach unseren Messungen im Mittel mindestens 20 % Heizenergie bei einer Investition von ca.12 € pro Quadratmeter ein – amortisiert sich also nach spätestens vier Jahren.
Dagmar Hotze: Sie verweisen darauf, dass man mit wesentlich einfacheren und kostengünstigeren Mitteln als der Wärmedämmung etwas zum Klimaschutz beitragen könnte und führen dazu die nachrüstbare Gebäudeautomation an. Die hat sich bisher jedoch kaum durchgesetzt, weder bei Architekten noch bei Bauherren. Woran liegt das?
Prof. Werner Sobek: Ein Architekt muss wissen, welche Technologien verfügbar sind – er muss sie aber nicht alle selbst beherrschen. Der Architekt ist Berater des Bauherrn: Die Beratung zur Haustechnik sollte sich dabei nicht nur auf die optimalen Wahl der Heizungsanlage beschränken, sondern muss auch die Auswahl des am besten geeigneten Hausautomationssystems umfassen. Im Übrigen muss die Smart-Home-Technologie endlich auf ein Niveau kommen, auf dem sie per “Plug and Play” funktioniert. So wie man heute einen Fernseher oder ein Smartphone einfach nur anschließen und dann intuitiv nutzen kann, so sollte es auch für ein Energiemanagementsystem möglich sein.
Schuld an der bisherigen Misere ist weder der Installateur noch der Architekt noch der Nutzer. Bislang fehlt es uns schlicht und ergreifend an den entsprechenden Produkten.
Wir müssen weg von dem, was wir typischerweise im Heizungskeller haben – nämlich ein Wirrwarr von technischen Geräten unterschiedlicher Hersteller mit untereinander nicht kompatiblen Schnittstellen. Wir brauchen eine integrierte Einheit, die im Werk vormontiert und getestet wird - und die man einfach nur noch in den Keller stellen und anschließen muss.
Man muss eins ganz klar sehen: Die heutige Haustechnik, selbst in einem Einfamilienhaus, ist so komplex, dass sie die Kompetenzen vieler Installateure – und der Nutzer allemal – überschreitet. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Großteil der neu installierten Thermen und Wärmetauscher immer noch die Werkseinstellungen verwendet – obwohl man sie durch eine Anpassung der Einstellungen an die lokale Situation eigentlich viel effizienter betreiben könnte. Viele Installateure trauen sich an eine solche Anpassung der Einstellungen nicht heran. Hier müssen wir ansetzen. Schuld an der bisherigen Misere ist weder der Installateur noch der Architekt noch der Nutzer. Bislang fehlt es uns schlicht und ergreifend an den entsprechenden Produkten.
Dagmar Hotze: Nun ist die Gebäudeautomation nichts Neues und die Diskussion um die Wärmedämmung alt. Was nach wie vor fehlt, ist eine technologieoffene, zielführende Debatte. Währenddessen versprechen „Smart Cities“ , Klimaschutz, Infrastruktur und Gebäude in Einklang zu bringen. Nur stammen die Ideen dazu häufig nicht von Architekten, sondern von IT-Konzernen. Was läuft da falsch?
Prof. Werner Sobek: Zum einen sind Architekten immer mehr mit einer enorm großen Vielfalt von unterschiedlichen Fragestellungen konfrontiert - in letzter Zeit ist dies besonders die Frage, wie schnell kostengünstiger Wohnraum für all die Menschen geschaffen werden kann, die in unser Land drängen. Das Thema Gebäudeautomation ist nur eines von vielen Themen, das behandelt werden muss (wenn auch in meinen Augen ein sehr wichtiges). Angesichts anderer zu bewältigender Aufgaben gerät dieses Thema dann schnell ins Hintertreffen. Schuld daran ist sicher auch eine gewisse Technikscheu mancher Berufskollegen, die der Meinung sind, dass ein Haus umso besser ist, je weniger Technik es aufweist. Diese Einstellung teile ich nicht. Natürlich muss die Technik, die wir in unseren Gebäuden anwenden, robust sein und den Nutzer entlasten, nicht bevormunden – dies können wir aber schon jetzt sicherstellen. Man muss hier nicht länger auf noch zu leistende Entwicklungsarbeit der Industrie und der Hersteller verweisen. Die Architekten müssen ihrerseits kreative Konzepte für die Integration der technischen Möglichkeiten entwickeln. Ich habe den Eindruck, dass viele das bislang noch nicht angehen, weil sie sich noch nicht ausreichend mit dem vorhandenen Potential auseinandergesetzt haben.
Dagmar Hotze: Wie sehen Sie die nachkommende Generation der Eigentümer und Mieter im Zusammenhang mit der zügigen Umsetzung einer emissionsfreien Stadt? Was können die Jungen, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind und Wohnen, Arbeiten, Freizeit und auch Mobilität anders begreifen, zum Gelingen beitragen? Schließlich sind sie es, die in den nächsten Jahrzehnten mit dem zurecht kommen müssen, was heute gebaut wird.
Herr Prof. Sobek: Sie haben Recht: Die jungen Generationen sind mit den neuen Technologien aufgewachsen und haben ein ganz anderes, unkomplizierteres und positives Verhältnis zu ihnen. Ich bin sicher, dass sich hieraus ein Wandel gibt, der auch künftige Architektengenerationen prägen wird. Und wir bemerken schon jetzt, dass viele Menschen selbst die Initiative ergreifen und nicht auf ein Handeln ihres Vermieters oder des Staates machen. Jeder kann schon heute mit einfachen Mitteln und einer geringen Investition seinen Wohnkomfort verbessern und seine Energiekosten reduzieren – und dadurch auch etwas zur Entlastung der Umwelt beitragen. Das macht Mut!
Zentrale Aussagen:
- Die Energiewende ist mit den bisherigen Methoden, auch im Bereich Wohnungsbau, nicht umsetzbar.
- Energiewende ist ein gesamtgesellschaftliches Projekt.
- Ziel müsse nicht das Einsparen von Energie per se sein, sondern das Verbot der Nutzung von fossilen Energiequellen.
- Sanierungsrate liegt aktuell bei nur 0,85 %, obwohl 2 % jährlich angestrebt sind.
- Energieströme in Häusern müssen besser durch Technik optimiert werden.
- Diese Gebäudeautomation ist zwar bereits erhältlich, wird allerdings viel zu wenig genutzt.
- Smart-Home-Lösungen müssen auf ein Niveau kommen, dass sie per “Plug and Play” funktionieren.
Zur Person:
Prof. Werner Sobek gilt als einer der wichtigsten Ingenieure der Gegenwart. Weltweit arbeitet er mit Architekten wie Zaha Hadid, Helmut Jahn, Norman Foster und Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg an Bürogebäuden, Hochhäusern, Flughäfen und Museen. Zudem ist er als Architekt mit eigenständigen Projekten in Erscheinung getreten, u.a. mit den Einfamilienhäusern R128 (auch als „Aktivhaus“ bekannt) in Stuttgart sowie dem F87 (auch als „Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität“ bekannt) in Berlin.
Werner Sobek ist Professor an der Universität Stuttgart und Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK)”). Außerdem ist er einer der Initiatoren der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB))“), deren Präsident er von 2008 bis 2010 war.
Quellen:
Fotograf: Tillmann Franzen, Düsseldorf
Interview: Dagmar Hotze, Hamburg
Bild: Shutterstock, vladwel