Fintech Roundtable: Über Hamburg und darüber hinaus
Fintech-Geschäftsführer und Politiker diskutieren über Standortfaktoren, Talente und Regulierung
Gut gelaunte Diskussion über Hamburgs Dächern mit (v.l.n.r.) Alexander Graubner-Müller (Kreditech, CEO), Michael Kruse (FDP, MdHB), Andreas Wiethölter (Zinspilot, CMO), Doris Dietze (BMF, Referatsleiterin “Digitale Finanztechnologin”), Simon Brunke (Exporo, CEO), André Bajorat (figo, CEO) und Moderator Frank Puscher.
Die Zahlen erscheinen zunächst klein, doch mit Blick auf den Gesamtfinanzmarkt haben Fintechs und deren Kunden das Potenzial, großen Einfluss auf die Finanzbranche zu nehmen: Bis 2020 sollen 5,5 % der Konsumentenkredite, 2,5 % der Geldanlagen und 0,5 % der Girokonten online über digitale Finanztechnologien bzw. deren Anbieter abgewickelt werden (Quelle auf Basis der Deutschen Bundesbank). Und aufgrund ihrer Schnelligkeit haben Financial Technology Unternehmen die Möglichkeit, in kurzer Zeit noch stärker zu wachsen. Ein großer Umbruch ist bereits im Gange, die Digitalisierung durchzieht immer deutlicher auch die gesamte Finanzbranche. Ein Markt, der in 2014 rund 107 Mrd. Euro der deutschen Bruttowertschöpfung erzielte (ca. 4 % des BIP, Quelle).
Um genauer aufzuzeigen, wie es um den “Fintech” Markt in Deutschland im Allgemeinen und in Hamburg im Speziellen bestellt ist, hat Exporo in sein neues Office über den HafenCity-Dächern eingeladen, mit Blick auf die Elbphilharmonie. Passend zur modernen, neuen Stadtarchitektur an der Elbe drehte sich in dem intensiven, knapp zweistündigen Gespräch, das von Moderator Frank Puscher unterhaltsam gelenkt wurde, alles um die neue Art, mit Geld umzugehen, und um die Herausforderungen der Branche. Die Chefs der vier größten Hamburger Fintech-Unternehmen diskutierten zusammen mit zwei Vertretern der Hamburger und der Bundespolitik.
Wie sehen Hamburger Fintech-Schwergewichte die Bedingungen in Deutschland und in Hamburg?
“Quo Vadis, Hamburg?” lautete der Arbeitstitel für den Fintech Roundtable. Die vier Fintech-Chefs haben alle ihren Sitz in der Elbmetropole gewählt, teilweise auf Umwegen, doch größtenteils durch persönliche Wurzeln in Hamburg. So ist auch auf die Frage, warum man ausgerechnet Hamburg als Firmensitz ausgewählt habe, ein deutlicher Tenor zu vernehmen gewesen: Welche große Stadt man auch auswählt, sei es Berlin, München, Köln, Hamburg oder Frankfurt - die Bedingungen für Unternehmensgründungen in Deutschland sind grundsätzlich ähnlich verteilt. Schaut man sich die Anzahl der Fintech-Unternehmen an, liegt Berlin dennoch deutlich vorne, gefolgt von München und Hamburg - aber eben nicht Frankfurt, wie man meinen könnte.
Kreditech, das wohl größte deutsche Fintech-Unternehmen aktuell, ist aufgrund seiner Historie noch nicht im deutschen Markt vertreten. Als Kreditplattform für Kunden, die durch das “klassische Kreditbewertungsraster fallen”, habe man sich aufgrund attraktiverer Rahmenbedingungen zunächst in Märkten wie Polen, Spanien, Mexiko und Russland niedergelassen, so Kreditech Chef Alexander Graubner-Müller. Und das mit großem Erfolg: Rund 300 festangestellte Mitarbeiter an sieben Standorten weltweit beschäftigt das hanseatische Unternehmen bereits und hat bereits ca. 150 Mio. € Wagniskapital für seine Kreditplattform eingesammelt.
Ohne IT-Talente keine Fintechs
Sowieso, das Thema “Mitarbeiter” entwickelte sich im Laufe des Gespräches zu einem Schwerpunkt. Hochqualifizierte Mitarbeiter zu finden, ist eines der großen Herausforderungen für die Fintechs und damit auch ein zentraler Bewertungsfaktor für einen attraktiven Unternehmenssitz.
“Deposit Solutions hat viele internationale Beschäftigte, unsere Unternehmenssprache ist Englisch und Hamburg hat großes Potenzial, um internationale Leute anzuziehen, also nicht nur aus der EU, sondern weltweit. Das merken wir”, so Wiethölter, CMO von Zinspilot, die zu Deposit Solutions gehört.
“Und da steht Hamburg meiner Meinung nach mindestens auf derselben Stufe wie Berlin und München”, sagt Andreas Wiethölter.
Wenngleich Berlin aufgrund seiner Größe und dem Fehlen von historisch etablierten Industrien, die bspw. in Hamburg sehr viel Platz einnehmen, oft an erster Stelle steht im Bereich der allgemeinen Startup-Branche, sehen die Diskussionsteilnehmer Hamburg als ebenso potent an. Woran es - allerdings bundesweit - eher fehle, machte ein Statement von figo-Chef André Bajorat deutlich:
“Wenn ich heute bei Konzernen höre, dass es bei der Vorstandstauglichkeit um Kredittauglichkeit geht, aber eine IT-Tauglichkeit gar nicht überprüft wird: Dann sind das Dinge, die sich meiner Meinung nach verändern müssen” , sagt Bajorat.
Dem pflichtet auch Krause von der FDP bei:
“Es sollte Programmieren als dritte Fremdsprache, und zwar verpflichtend, in der Schule geben.”
Das sehen auch die Fintech-Vertreter im Raum ähnlich. Für den so wichtigen und zukunftsträchtigen Digitalisierungsmarkt müsse viel früher schon eine Basis gelegt werden.
Hinzu kommt der Faktor “Internationalität”, der zur Infrastruktur einer Metropole wie Hamburg zwingend dazu gehören sollte. Auch hier sehen die meisten Gründer noch Optimierungsspielraum.
Um fremdsprachige Mitarbeiter in Hamburg aufnehmen zu können, mussten einige der Fintech-Unternehmen sogar selbst schon Unterstützung leisten. Was die Wohnungssuche angeht, Formulare des Einwohnermeldeamts ausfüllen und ähnliche Behörden- und Versicherungsangelegenheiten - das Onboarding der internationalen Fachkräfte erfolgte vielerseits von seiten der Unternehmen, hier könne die Stadt Hamburg mehr tun und sich noch attraktiver machen.
Fintechs denken nicht nur digital - auch international
“Wir wollen ja auch, dass die innovativen und hochmotivierten Mitarbeiter, die zu uns nach Hamburg kommen, hier bleiben und nicht nach drei oder sechs Monaten denken, die Stadt ist schön, die Arbeit gefällt mir, aber die Prozesse funktionieren für mich hier nicht”, sagt Wiethölter und erklärt weiter: “Wenn diese Mitarbeiter dann in ein paar Jahren den Job wechseln und in Hamburg bleiben, hat die Stadt nachhaltig etwas davon.”
Exporo Chef Simon Brunke sieht ebenso die hohe Attraktivität des Standorts Hamburg als ein wichtiges Teilstück zur Talentgewinnung, dazu gehöre aber auch die Attraktivität des Unternehmens selbst: “Größere Probleme mit der Integration von internationalen Fachkräften sind bei uns noch überschaubar, das haben wir wahrscheinlich noch vor uns”, so Brunke. Aktuell arbeiten rund 60 Mitarbeiter bei der Crowdinvesting Plattform, davon 7 mit internationaler Herkunft. “Wir beobachten bei uns vor allem, dass motivierte und qualifizierte Mitarbeiter aus Berlin und Frankfurt hierher nach Hamburg gezogen sind oder pendeln.
“Zum Einen macht sicher auch die Unternehmenskultur viel aus, dass das Team passt, aber uns sagt auch jeder, dass Hamburg ein unheimlich spannender Standort zum Arbeiten und Leben ist”, meint Simon Brunke.
Generell brauche man den Blick in Deutschland allerdings gar nicht auf die Städte fokussieren oder zwischen den Städten konkurrieren, sondern dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen in Deutschland an sich positiv sind und noch attraktiver werden, so Brunke.
André Bajorat ist CEO beim Hamburger Fintech figo, das als “Banking as a Service”-Plattform Schnittstellen zwischen der klassischen Finanzwelt und modernen Finanzlösungen anbietet. Als einer der bekanntesten Fintech Experten Deutschlands sitzt er außerdem im Hauptvorstand des Digitalverbands bitkom sowie im Advisoryboard von FinLeap
Simon Brunke ist CEO und Mitgründer von Deutschlands größter Crowdinvesting Plattform Exporo, die sich auf Immobilieninvestments spezialisiert hat. Mit bis dato knapp 60 Mio. € vermitteltem Kapital zwischen Privatanlegern und Projektentwicklern verfolgt das Hamburger Startup das Ziel, den Zugang zu Immobilieninvestments zu demokratisieren.
Andreas Wiethölter ist seit 2013 CMO und Geschäftsführer bei Deposit Solutions, die im B2C-Bereich bekannt sind für das Fintech-Startup Zinspilot, mit dem Anleger über nur ein Konto die Zinsangebote vieler deutscher und europäischer Banken nutzen können.
Alexander Graubner-Müller ist Gründer und seit 2015 CEO von Kreditech, dem größten deutschen Fintech-Startup, nachdem er drei Jahre zuvor als CTO die technische Entwicklung des weltweit bekannten Unternehmens mit aktuell rund 300 Mitarbeitern leitete.
Was macht die Politik auf Bundes- und auf Stadtebene für Fintechs?
Die Fintech-Branche ist noch sehr jung. Mit Blick auf die deutschlandweit bei google gesuchten Begriffe taucht “Fintech” erst seit 2014 vermehrt auf. Die Unternehmensgründungen der anwesenden Fintech-Experten sind unwesentlich früher, die meisten um 2012 herum entstanden. Daher wandert auch die Bundesregierung inzwischen mit auf den neuen Pfaden: Das Bundesfinanzministerium wolle, so Doris Dietze, z.B. mit dem kürzlich gegründete Fintech-Rat im Bundesfinanzministerium, enger am Geschehen sein, um genauer zu verstehen, wie die Branche agiere und parallel die Rahmenbedingungen zu gestalten. Dietze leitet das erst vor fünf monaten ins Leben gerufene, neue Referat “Digitale Finanztechnologien, Zahlungsverkehr und Finanzsanktionen” im Finanzministerium. Der Fintech-Rat besteht aus 20 Mitgliedern (Wissenschaft, Marktteilnehmer, Politik), dem der parlamentarische Staatssekretär Jens Spahn vorsitzt.
Am Beispiel der neuen Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie, die den Zugang von Drittdienstleistern zu Bankdaten erleichtern soll, habe man laut Dietze gemerkt, dass einige Marktteilnehmer, wie etablierte Banken, sich mit dem Ausmaß der Innovation sogar zunächst schwer tun.
Doris Dietze ist Leiterin des noch jungen Referats “Digitale Finanztechnologien, Zahlungsverkehr und Finanzsanktionen”, u.a. zur Gesetzgebung beim Zahlungsverkehr, aktuell z.B. Thema “Umsetzung der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie” (siehe: ZDUG), und für den gesamten Bereich FinTech. Hier sollen die Chancen und Risiken dieses jungen Marktes erkannt und entsprechend gefördert bzw. beschränkt werden (Finanzmarktstabilität, Verbraucherschutz).
Michael Kruse ist Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion dort sowie Fachsprecher für Wirtschaft und Start-ups. Kruse hat das Ziel, Hamburg zur Gründerhauptstadt zu machen und sagt mit Bezug zum Digitalisierungsfortschritt Hamburgs: „Selbst meine 94-jährige Großmutter ist im Bereich Digitalisierung weiter vorn als dieser Senat.“
“Für uns in der Politik stellt sich immer die Frage, wie wirkt sich das Handeln eines Bereiches, wie der Fintech-Branche, der gerade so massiv an Schwung gewinnt und schon eine enorme Entwicklung in den letzten Jahren genommen hat, auf bestehende Strukturen, die Finanzstabilität und Verbraucherbelange aus”, konstatiert Dietze. “Und daneben haben wir natürlich ein großes Interesse, diese Entwicklungen aktiv zu begleiten.”
“Deutschland braucht innovative Geschäftsideen, das ist ein wichtiger Wachstumsbereich. Das so zu fördern und nicht zu behindern, für ein ausgeglichenes Verhältnis zu sorgen, ist nicht immer einfach, aber wenn ich mir den Markt in Deutschland ansehe, bekommen wir das ganz gut hin”, sagt Doris Dietze.
Wie wäre es mit einer neuen Branche: GovTech
In Hamburg habe man auch auf Oppositionsseite viele Möglichkeiten, den Standort attraktiver für Gründungen von Startups wie aus dem Fintech-Bereich, zu gestalten, so Michael Kruse, wirtschaftlicher Sprecher der FDP in der Hamburger Bürgerschaft. Vor allem nimmt Kruse allerdings auch den Staat, respektive die Stadt in die Pflicht, mehr für die Digitalisierung zu tun und es damit auch den jungen Unternehmen einfacher zu machen. Beispielsweise indem man Gründern den kostenlosen, schnellen Zugang zu den entsprechenden, in der Hansestadt geschaffenen Clustern zur Verfügung stellt.
Denn, wie die anwesenden Gründer und Fintech-Geschäftsführer nickend einstimmen, stellen alleine Handelsregistereintragungen, die in Deutschland bis zu drei Monate dauern können, ein großes Hindernis für Start-ups dar.
Auch für die Eintragung einer Grundschuld brauche es laut Simon Brunke von Exporo viel zu lang, da alles per Kopien von einer zur nächsten Behördenstelle getragen werden müsse.
Eingestaubte Prozesse und kaum technologische Innovationen lähmen an wichtigen Stellen somit auch die Fintech-Branche und würden eigentlich, so Kreditech-CEO Graubner-Müller mit einem Lächeln, ein neues Digitalisierungsfeld, das Govtech (Government Technologies), nötig machen.