Fintechs: Dynamisch aus der Nische
Spätestens seit dem letzten Jahr ist das Thema Fintech nicht mehr aus der Finanzwirtschaft wegzudenken. Innovative Unternehmen stechen mit neuen, digitalen Dienstleistungen hervor, die für immer mehr Kunden interessant werden. Dazu zählt auch das Crowdinvesting für Immobilien. Um einen anderen Blickwinkel auf diese neuen Entwicklungen zu bekommen, hat die Journalistin Dagmar Hotze für Exporo den Chef-Researcher der Catella Group, Dr. Thomas Beyerle, zur Digitalisierung der Finanz- und Immobilienbranche interviewt.
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Interview
Dagmar Hotze: Herr Dr. Beyerle, in den USA wurde in 2014 rund 1 Milliarde Dollar per Crowdinvesting zur Immobilienfinanzierung eingesammelt. Im abgelaufenen Kalenderjahr könnten es bereits 2,5 Milliarden Dollar sein. Hierzulande wird die Finanzierung von Immobilien durch “den Schwarm” immer noch als Kuriosum gesehen und skeptisch beäugt. Unterschätzt die Finanzbranche das Potenzial?
Dr. Thomas Beyerle: Ich denke ja! Zwar wird sich auch hier der Markt erst noch herauskristallisieren, doch es sind vor allem zwei Aspekte, welche den Prozess eher langsam erscheinen lassen: Zum einen die Sichtweise “Geld nimmt man nur von jemandem, der eine Banklizenz hat”. In der anderen Sicht: Crowdinvesting spielt sich im “grauen Kapitalmarkt” ab. Das mag im Einzelfall gar nicht zutreffen, doch die kleinen Beträge zeigen zumindest mal, dass es sich eher um ein “wir investieren mal ein bisschen, damit der Schaden auch nicht zu groß wird, wenn es nicht klappen sollte mit der unternehmerischen Beteiligung” handelt. Die über dem Marktzins liegende Zielrendite der bisherigen Projekte spiegelt sich also genau in dem Risiko wider.
Dagmar Hotze: Schaut man sich den Kontext an, in dem Immobilien-Crowdinvesting-Plattformen agieren, dürfte 2016 ein gutes Jahr für sie werden. Zum einen, weil die Niedrigzinsphase anhält. Zum anderen, weil die Erträge eingeführter indirekter Immobilienanlageprodukte für Kleinanleger gesunken sind. Gab es früher 6 %, ist es heute etwa die Hälfte. Zudem steht den Banken und Sparkassen ein erheblicher Filialabbau bevor, über den sie den Vertrieb ihrer Immobilienpublikumsfonds organisieren. Und die bisher erfolgreich finanzierten Projekte bzw. Rückzahlungen zeigen, dass es sich bei den Plattformbetreibern keineswegs um Glücksritter handelt, sondern um Profis, die ihr Finanz- und Immobilienhandwerk verstehen. Die bisher investierten Summen mögen im Verhältnis zum eingesammelten Kapital der traditionellen Anbieter zwar gering sein, aber könnte Crowdinvesting auf mittlere Sicht zum Game Changer für die Branche werden?
“Crowdinvesting - eine Branche, die stetig wächst.”
Dr. Thomas Beyerle: Interessanterweise haben wir es bei der großen Mehrzahl an Plattformen-Anbieter mit Menschen aus dem System zu tun, also mit gelernten Bankern, die – warum auch immer – sich dieser Evolution verschrieben haben. Mit anderen Worten: die wissen was sie tun und können das Risiko abschätzen. Einen Game Changer sehe ich auch die nächsten Jahren nicht, dafür sind die Strukturen in Deutschland zu etabliert. Gleichwohl wird sich im Kontext der aktuellen Digitalisierungswelle das Thema Fintechs sehr dynamisch entwickeln. Eine Nische, die stetig wächst.
Dagmar Hotze: Kommen wir zur Situation von institutionellen Investoren. Bisher wählen professionelle Anleger in Deutschland meist die tradierten Wege über Banken oder Investmentgesellschaften, wenn sie in Immobilien investieren möchten bzw. müssen diesen Weg aufgrund ihres Anlagevolumens und der damit verbundenen finanzbehördlichen Aufsicht beschreiten. Allerdings sind sie damit auch gezwungen, die Kosten für den Verwaltungsapparat mitzutragen. In den USA ist die Situation anders. Hier beteiligt sich etwa die Deutsche Bank über die Immobilien-Crowdinvesting-Plattform “Prodigy Network” am Prestigeprojekt “17 John” in Manhattan. Wann denken Sie, werden Immobilien-Crowdinvesting-Plattformen hierzulande eine Alternative für Profianleger sein?
Dr. Thomas Beyerle: Bevor hier ein falsches Bild entsteht: Im Granularen sind einige der Großbanken ja schon auf dem Feld aktiv, gleichwohl eher unter einer gewissen Anonymität, um sich keine Konkurrenz im eigenen Haus zu erziehen. Dieser Strukturwandel wird meines Erachtens mindestens noch so weit gehen, wie vor allem die Zinsen dafür sorgen, dass sich die Renditen im etablierten Geschäft in der Eurozone so gering darstellen. Also mindestens bis Mitte 2017 – solange ist das Geschäftsmodell der Crowdfunder auch “geschützt” aufgrund der höheren Rendite.
Dagmar Hotze: Wo sehen Sie Chancen, dass Immobilien-Investmentgesellschaften zukünftig mit Immobilien-Crowdinvesting-Plattformen kooperieren? Das Rad muss zumindest technisch ja nicht neu erfunden werden. Oder ist die Kluft zwischen analoger und digitaler Kultur zu groß?
Dr. Thomas Beyerle: Wenn man sich anschaut, wie lange die großen 4 gebraucht haben, bis Paypal die deutsche Antwort entgegen gesetzt wurde, neigt man zum Pessimismus. Zumal das Thema aktuell eher als Bedrohung, denn als Chance wahrgenommen wird - und das lähmt immer Veränderungsprozesse. Ich erwarte eher eine geographische Aufteilung: Kleinprojekte tendenziell über Crowdfunding in den regionalen Standorten, Großprojekte direkt klassisch.
Immobilienunternehmen brauchen noch Zeit für die Digitalisierung
Dagmar Hotze: Wissen Sie aus Ihren Untersuchungen, ob institutionelle Anleger eine digitale Service- und Informationskultur in Bezug auf Immobilieninvestments erwarten? Legen diese Wert auf einen umfassenden und digitalen Zugriff auf die Informationen über ihr Investment in Echtzeit?
Dr. Thomas Beyerle: Ehrlicherweise kommt es zu diesen Forderungen in der Breite immer erst, wenn es über den Gesetzgeber zu einer Forderung dieser Art kommt. Hier sehe ich als Analyst zwar den unmittelbaren Vorteil, bin aber Realist und vermute, dass innovative Vorschläge mangels Masse ein Nischendasein führen werden und dann den langsamen Tod sterben. Wenn die BaFin oder das Bundesfinanzministerium bzw. Brüssel eine Richtung vorgeben, kann es aber schnell gehen.
Dagmar Hotze: Wagen wir zuletzt einen Blick in die Zukunft: Die Transparenz von Daten spielt in der Finanz- und Immobilienwirtschaft eine immense Rolle. Und zwar nicht nur im Hinblick auf die Vertrauenswürdigkeit und Solidität gegenüber dem Anleger und zur Erfüllung gesetzlicher Vorschriften, sondern auch zum Zwecke eines zeitgemäßen Managements und, denkt man an Big Data bzw. Data Analysis, zur genaueren Entscheidungsfindung, zum Beispiel was Investments betrifft. Wäre es denkbar, dass man in Zukunft Crowdinvesting-Plattformen (Front End) mit einem Immobilieninvestment 4.0 (Back End) verknüpft? Das mag spekulativ klingen. Aber die Digitalisierung bietet ja mehr als ein Vertriebsvehikel per Internet. Wie schätzen Sie die Verschmelzung von Technologie und Immobilieninvestments ein? Was kommt da auf die Finanz- und Immobilienbranche zu?
Dr. Thomas Beyerle: Es ist in der Tat eine gewaltige Lawine, die auf uns zurast. Es setzt zwei Dinge voraus: Idealerweise soll ein Mehr an “Data” Unternehmen in die Lage versetzen, effizienter zu werden, sei es bei der Produkterstellung, Zielgruppenanalyse oder Kundenberatung. Dies mag im Lehrbuch der BWL zwar als richtig gelten. Bis diese Stufe der Transzendenz aber erreicht wird, durchlaufen Immobilienunternehmen mehrere Phasen im Wettbewerb. Zunächst einmal passiert nichts, da es noch immer eine latente Angst gibt, Daten grundsätzlich zur Verfügung zu stellen bzw. diese wirklich zu nutzen, jenseits des Marketingansatzes. Danach werden einige mit innovativen Modellen und Bildern nach vorne preschen und die maßgebliche Transparenz für sich in der Beratung in Anspruch nehmen, nach dem Motto “Unsere Daten sind die besten, weil wir eine breite Abdeckung haben!”. Das ist gut, hat aber nichts mit dem Mehrwert von Big Data zu tun.
Nur diejenigen Unternehmen der Branche, welche aus dem Ozean an Daten die entsprechenden Algorithmen entwickeln und Datenzusammenhänge darstellen können, werden beim Kunden Beachtung finden. Denn merke: Ein Mehr an Transparenz sorgt nicht per se für stabilere Märkte und sichere Investitionen. Dazu sind die Zusammenhänge bisher völlig außer Acht gelassen in der dynamischen Entwicklung. Vor diesem Hintergrund wird das Thema erst wirklich operativ relevant, wenn der erste Data Analyst sich in der Branche blicken lässt – vorher nicht.
Zentrale Aussagen:
- Finanzbranche unterschätzt das Potenzial von Crowdinvesting für Immobilien
- Fintech noch kein Game Changer - aber eine Branche, die stetig wächst
- Großbanken sind bislang nur granular im Bereich Immobilien Crowdinvesting unterwegs
- Digitalisierung der Branche ist nicht zu stoppen, Immobilienunternehmen brauchen dafür allerdings noch Zeit
Zur Person: Dr. Thomas Beyerle ist Chefanalyst bei der Catella Group, einer europaweit tätigen Corporate Finance Beratung, die auf Immobilieninvestments spezialisiert ist. Zuvor war er Head of Research und Managing Director bei der IVG Immobilien AG, für Cash.Online schrieb er Kolumnen zum Thema Immobilieninvestments.